Boomtown 11/2000
Sag Ja zur Feldulme
Regelmäßige Leser dieser Kolumne kennen ja meine Affinität zur Mystizität von Zahlen. In der vergangenen Woche sind neue Zahlen eingetroffen, die an dieser Stelle nicht unrezensiert bleiben dürfen.
Seit dem 30. April 2000 ist Weißensee nicht mehr der einwohnerschwächste Bezirk Berlins. Mitte hat ihm diesen Platz streitig gemacht, denn jener Bezirk hat nun genau zwei Einwohner weniger als der wahrscheinlich außerhalb der Stadt am wenigsten bekannte Ortsteil. Spannend wäre es, zu erfahren, wer diese beiden neuen Weißenseeer(?) sind. Sind es Zugereiste? Gar Bonner? Oder einfach nur Zwillinge, die sich im Krankenhaus Weißensee zur Welt bringen ließen, weil es die Mutter nicht mehr zur Charité schaffte? Wobei „einfach nur Zwillinge“ irgendwie auch nicht funktioniert, denn entweder ist ein Kind einfach oder Zwilling. Denkbar wäre natürlich auch, dass Mitte zweier Einwohner verlustig ging, wobei allerdings recht unwahrscheinlich ist, dass es sich dabei um Zwillinge gehandelt hat. Eher schon um Neuberliner, die als ex-mittierte Ex-Bonner nun ein Extra-Ex im Namen führen dürfen.
Vielleicht auch wird Weißensee nun zur Szenelocation der Stadt? Rings um den Antonplatz werden die heruntergekommenen Hilfs-Italiener und -Chinesen plattgemacht und durch coole heruntergekommene Kneipen ersetzt, die dann so einprägsame Namen wie „Chez Anton“ oder „Platz-Deckchen“ erhalten. Wünschenswert wäre auch endlich ein Internetcafé mit Namen „Scroll-Bar“. Wäre ich Internetcafe-Aufmacher, gäbe es ein solches schon längst. Ob in Weißensee oder Mitte wäre mir egal. Sollte jemand dies tun, bitte ich um eine Stunde freien Internetzugang pro Woche plus Freigetränk.
Um einen Einwohner ärmer geworden ist auch Pankow, allerdings handelt es sich dabei um eine 150 Jahre alte Feld-Ulme, die einem Straßenbahngleis im Wege stand. Sie musste gefällt werden, obwohl ein Weg dran vorbei geführt hätte. Dazu hätte aber irgend eine Verwaltung irgend etwas anders machen müssen, was jedoch nicht geschah. Im Allgemeinen bin ich schon ein Verfechter der Straßenbahn, schließlich ist sie um einiges billiger und auch etwas ökologischer als beispielsweise eine U-Bahn, wie sie jetzt quer durch Berlin neu gebaut werden soll. Aber in diesem Falle hat sich dank Bürokratie die Ökologie selbst das K.O. gegeben.
Bei der sogenannten Kanzler-U-Bahn – als ob damit je ein Kanzler öfter als einmal fahren würde -, ist es ja auch noch nicht so sicher, wann sie gebaut wird. Dieser Name „Kanzler-Bahn“ rührt wahrscheinlich von der Erinnerung an selige Kaiserzeiten. (An dieser Stelle sei die Frage gestattet, warum es nicht auf neu-deutsch „seelig“ heißt?) Damals, zu Zeiten Friedrich Wilhelms nämlich, wollte dieser partout keine Straßenbahn vor seiner Wohnungstür – sprich dem Stadtschloss haben. Also buddelte man kurzerhand einen Tunnel, der neben der heutigen Humboldt-Uni reinging und irgendwo Leipziger Straße wieder rauskam (oder umgekehrt, je nachdem), und diese Strecke die „Kaiser-Bahn“ hieß, wenn ich nicht irre. Der Eingang zwischen Uni und Maxim-Gorki-Theater ist übrigens vor zwei Jahren mit Sand zugeschüttet worden, nachdem man Ben Wargin die Chance ließ, sein Baum-Museum im Tunnel zu räumen. An dieser Stelle befindet sich heute eine der sinnlosesten und hässlichsten Brachen der Innenstadt mit einer behelfsmäßigen Teerstraße von ca. 50 Meter Länge und – besonders beeindruckend – sechs Quadraten verschiedener Sorten Pflastersteine, die zu Beginn des Frühjahrs für den Herrn Bausenator errichtet wurden, um ihm die Entscheidung, welcher Stein für den Pariser Platz am Brandenburger Tor am schicksten sei, zu erleichtern. Der Senator besah sich die Quadrate eine halbe Stunde lang und verschwand wieder. Die Steine liegen noch heute da. Es lebe die Berliner Verwaltung.
Diese hat in der letzten Woche möglicherweise Geld eingenommen, um diesen Fleck wieder auf Vordermann zu bringen. Eine Freundin von mir steuerte 50 Mark dazu bei, indem sie sich beim „Rote-Ampel-mit-dem-Fahrrad-Überfahren“ erwischen ließ. Der Vorwurf der Polizisten lautete übrigens: „Wussten Sie denn nicht, dass wir jetzt die Radler verstärkt kontrollieren?“ Tat sie nicht, ebenso wenig wie die anderen 338 Pedaleure, die über eine rote Ampel fuhren. Wobei ich ja, als durchaus sprachpedantischer Mensch, jemandem eher 50 Mark dafür geben würde, um zu sehen, wie er über eine Ampel drüberfährt. Egal, ob rot, grün oder gestreift.
Eine schöne Woche wünscht Leovinus.
Und das nächste Mal denken wir vielleicht über die Bedeutung des Wörtchens „ja“ in Kolumnen nach. Denn dieses „ja“ heißt ja nichts weiter als „bekannterweise“ und wenn etwas bekannt ist, muss man darüber eigentlich auch nicht mehr schreiben und könnte somit den ganzen Satz weglassen. Aber ich verplaudere mich, deshalb an dieser Stelle nochmals schöne Woche dann…