Stürmische Leidenschaft

Boomtown 13/2000

Vom 14.August 2000

Stürmische Leidenschaft

Normalerweise verläuft das Leben so, wie man es gewohnt ist. Morgens geht man ins Büro, mittags sucht man die beste und billigste Verpflegungsstätte der Umgebung und abends trifft man sich mit Freunden oder Freundinnen. Bei letzterer Gelegenheit jammert man sich gegenseitig die Ohren zu, dass die Angehörigen des jeweils anderen Geschlechts nie begreifen werden, dass man die Erfüllung all ihrer Träume bedeutet und geht zufrieden nach Hause in der Gewissheit, nicht allein zu sein. Diese Ordnung ist gottgewollt und gut.

Manchmal aber hat Gott einen echt schlechten Tag oder gerade etwas anderes zu tun oder irgendein karrieregeiler Engel macht die Urlaubsvertretung. Dann passiert das Schreckliche: Die Freundin, mit der du noch vergangene Woche merkwürdigerweise einer Meinung warst, dass es zwischen Mann und Frau einfach nie komplett funktionieren kann und glückliche Beziehungen mit allen Zutaten ins Reich der Legende gehören, hat sich innerhalb von drei Tagen so unsterblich und unverschämt glücklich verliebt, dass das bloße Anschauen dich zu Heulkrämpfen treibt. Ihr Honigkuchenpferdgrinsen reicht von hier bis Honolulu. Diese Glücksstrahlen machen ein derart schönes Wetter, dass die Landwirtschaft Missernten befürchtet.

Damit wir uns nicht falsch verstehen, es geht dabei nicht darum, dass diese Freundin jemand anderen einem selbst vorgezogen hat. Das ist in Ordnung, sie ist halt ein „Kumpel“. Der Punkt ist, dass die gemeinsame Basis verschwunden ist. Mit dieser Freundin kannst du nicht mehr in Ruhe frühstücken gehen, am Kollwitzplatz stundenlang über bedauernswerte Familien mit großkotzigen Söhnen gemeine Witze reißen oder abends den Chat aufrollen.  Dieser grauenvolle Mensch hat ihr den Kopf dermaßen im Sturm verdreht, dass eine normale Unterhaltung auf der Basis gemeinsamen Unglücks einfach unmöglich geworden ist. Das allein wäre höchstwahrscheinlich auch noch nicht so unerträglich. Jedoch kann man mit dieser geballten Ladung Glück ebenso kein anderes vernünftiges Gespräch führen. Ein Beispiel gefällig? „Also ich muss endlich mal was für meine Altersvorsorge tun.“ Ein stinknormaler, langweiliger Anfang oder? Antwort: „Ja, darüber wollte ich gestern abend auch nachdenken, aber dann klingelte das Telefon und er hat sowas Süßes über mein Alter gesagt, das glaubst du nicht…“  – „Bedienung! Ein großes Küchenmesser bitte, schnell!“

Selbstverständlich gibt es Strategien, sich vor dieser Art psychischer Gewalt zu schützen. Die erste ist die passive Methode, welche die komplette Einstellung der Beziehung zu dieser Person beinhaltet. Man kann ihr höchstens noch die Telefonnummer geben mit der Bemerkung: „Falls es dir mal wieder schlecht geht…“ Dann gibt es noch die sanft-mitfühlende-hinterlistige Variante: „Ach, ich freu mich ja so für dich. Aber du solltest vorsichtig sein, schließlich hat sich bis jetzt noch jeder als *piep* entpuppt. Warum sollte der anders sein?“ Nach ein bis zwei Wochen kann man das weiter ausbauen: „Wirklich schön, dass ihr so glücklich seid. Da fällt mir ein, hat er dir eigentlich erzählt, dass ich ihn gestern im Park mit dieser großen Blonden getroffen hab, mit der er letzten Sommer zusammen war?“ Dauert das Glück lange genug, dass eine Hochzeit zu befürchten ist, (was sie noch letzte Woche weit von sich gewiesen hat mit „Kommt sowieso nie in Frage. Der Mann, den ich wollte, ist vergeben und einen anderen heirate ich nicht.“) gibt es noch die Möglichkeit, seiner Telefonnummer habhaft zu werden, ihn anzurufen und ihm die Zauberformel zu vermitteln: „Du, Rudi, tut mir wirklich leid. Eigentlich sollte sie es dir sagen, aber sie traut sich nicht. Denn sie mag dich wirklich gern, doch sie findet, ihr solltet einfach Freunde bleiben. Sie würde dir dies nie selbst sagen können, deshalb ist es vielleicht am besten, wenn du es zu ihr sagst. Ja, es kommt etwas überraschend, aber es ist doch besser jetzt, als wenn es zu spät ist, oder? Also, du weißt, was zu tun ist.“

Tja, und dann gibt es noch eine Geheimstrategie. Aber ich werde den Teufel tun, sie hier detailliert auszuführen. Nur soviel: Manchmal hat Gott etwas länger Urlaub, sollte man das nicht für sich selbst ausnutzen?

Eine wunderschöne Woche wünscht: Leovinus.

(2000)

 

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