Weihnacht mit Veronika

e-gitarreBoomtown 24/2000

Vom 11.Dezember 2000

Weihnacht mit Veronika

Es nahet die Weihnachtszeit. Möchtegern-Nikoläuse machen sich auf die Suche nach Geschenken. Manche in den Kaufhäusern, einige zu Hause, weil sie nicht mehr wissen, wo all die guten Gaben, die sie vorsorglich im August kauften, liebevoll versteckt sind. Doch bevor es ans Kerzenanzünden unter der heimischen Nordmann-Tanne geht, steht den meisten von uns eine Jahresendprüfung besonderer Art ins Haus: die Betriebsweihnachtsfeier.

Egal, ob die Firma nun zwanzig, zweihundert oder zweitausend Mitarbeiter ihr Eigen nennt, die Unterschiede solcherart Festivitäten sind nur graduell. Bei den kleineren fehlt’s an der Weihnachtsgratifikation, bei den größeren an Herzenswärme. Es gibt auch Firmen, in denen es an beiden mangelt.

Selbstverständliche Voraussetzung ist, dass sich nur ein Bruchteil der Angestellten für die Vorbereitung verantwortlich fühlt. Schließlich soll Weihnachten ein Fest der Überraschungen sein. Meist werden die Sekretärin, Barbara aus der Buchhaltung und der Praktikant flugs zu einem Weihnachtsteam zusammengeschweißt. Am Heiligen Firmen-Abend müssen sie mit Verdacht auf Kreislaufkollaps in die nächste Klinik geflogen werden, während der Rest der Belegschaft ihnen mitleidige Grüße, Besserungswünsche und erhobene Glühweinbecher auf den Weg gibt, weil sie es mal wieder ganz toll hinbekommen haben. Ist der Hubschrauber hinter dem Horizont verschwunden, wenden sich die Verbliebenen wichtigeren Dingen zu. Das kalte Büffet wartet. Man stopft sich die Bäuche voll und betet zum Christkind, dass Barbara am Montag aus dem Krankenhaus zurückkommt. Schließlich muss ja jemand den Jahresabschluss machen.

Irgendwann sieht das Büffet aus wie Nikaragua nach einem Wirbelsturm. Dies ist der große Auftritt des Geschäftsführers. Er darf nun so tun, als wären ihm die tollen Geschenk-Ideen selbst gekommen und als ob er jeden der Ausgezeichneten persönlich dreimal täglich herzt und küsst. Lächelnd und souverän würdigt er einen Mitarbeiter nach dem anderen, während diese sich scheu für den 10-DM-Gutschein aus der Bäckerei um die Ecke bedanken.

Dann aber wird es still und geheimnisvoll. Von einem Vertrauten des Weihnachtsteams werden der Chef und sein Kompagnon in eine kleine verschwiegene Ecke gelotst. Als situierte Herren in Schlips und Armani gehen sie hinein, als Weihnachtsmann und Engelchen mit Gitarre kommen sie wieder heraus. Zum Gaudi der glühweinseligen Mitarbeiter spazieren sie nun Weihnachtslieder singend um ihre Untergebenen herum und animieren diese zum Einstimmen. Da auch zum Fest der Liebe niemand bockig sein will, fügen sich die blonde Veronika, deren Nachbarssitz man sich mühsam ergatterte, und man selbst in sein Schicksal und malträtiert laut und misstönend die schöne Weise von der Gnaden bringenden Weihnachtszeit. Der Chef setzt dem Ganzen nur noch dadurch die Spitze auf, indem er am Ende der „Weihnachtstour 2000“ einen Blick in seine Jugendzeit gestattet und auf der Gitarre „Smoke on the Water“ intoniert. So ganz alkoholfrei ist er schließlich auch nicht mehr.

Eigentlich ist jetzt alles überstanden und man könnte nun zum gemütlichen Teil übergehen. Doch immer, ja wirklich immer, kommt ein langweiliger Witzbold namens Harald auf die Idee, dass man doch gemeinsam etwas spielen könne, wo wir so schön beieinander sitzen. Er hätte da auch eine Super-Idee, die keinerlei Vorbereitung erfordere und für die man genau die richtige Anzahl von Personen wäre: Stille Post. Harald ist natürlich für die innerbetriebliche Kommunikation zuständig und findet es deshalb besonders witzig, dass genau von ihm dieser Vorschlag kommt. Also muss in der nächsten Stunde jeder auf seinem Platz bleiben und darf keinen Ton sagen, weil Harald es sonst total gemein findet, wenn die anderen gestört werden. Mit dem Glühwein ist es auch Essig, da man seinen ganzen Grips zusammenhalten muss, um von der stotternden Manuela auch nur eine Silbe zu verstehen. Allerdings ist dies nicht wirklich notwendig, weil man endlich der blonden Veronika ungeschoren Sauereien in ihr niedliches Ohr flüstern darf. Harald ist dann derjenige, der deren Wortlaut für alle wiederholen muss und sich fragt, wer wohl eine solch verdorbene Phantasie besitzt.

Er wird es nie erfahren. Dem Chef fällt plötzlich ein, dass er morgen einen unheimlich wichtigen Termin in Nowosibirsk hat und deshalb sofort aufbrechen muss. Das ist das Startsignal für den Rest der Firma. Man bedankt sich bei Harald für die tolle Idee und überlässt ihm bei der Gelegenheit gleich Nikaragua, denn man muss nun wirklich schnell weg und er hätte doch eh nichts vor bis Montag, oder? Harald schaut den Massen hinterher, besieht sich das verwüstete Büffet, schüttelt den Kopf und geht ebenfalls nach Hause. Das Weihnachtsteam wird’s am Montag schon richten. Die haben schließlich das Ganze angezettelt.

Und wenn Ihr jemanden gern habt, nehmt Euer Herz in beide Hände und macht was draus.

Eine schöne Woche wünscht Leovinus.

(2000)

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