Ball der Ladenhüter

Boomtown 22/2000

Vom 27. November 2000

Ball der Ladenhüter

Berlin ist voll einsamer Menschen. Das  mag merkwürdig klingen, aber es ist so. Eine der größten Ansammlungen einsamer Berliner findet sich jeden zweiten Freitag bei der „Fisch-sucht-Fahrrad“-Party, welche den hungrigen Herzen und lechzenden Lenden von einem bekannten Stadtmagazin zum Fraß vorgeworfen wurde. Bereits ein oberflächlicher Blick auf diese Veranstaltung mit inzwischen legendärem Ruf lässt erahnen, warum die meisten jener Mitbürger partnerlos durch das Grau ihres Daseins streifen.

Wer schon immer einmal wissen wollte, wie ein Klassentreffen nach zwanzig Jahren aussehen würde, bei der die große Jugendliebe und die besten Freunde verhindert sind, und man stattdessen den ganzen Abend mit den Außenseitern oder Strebern verbringen muss, ist dort bestens aufgehoben. Die unbeliebtesten Lehrer sind ebenfalls vor Ort. Natürlich kam auch jenes hässliche kleine Entlein, das sich selbstverständlich nicht in einen Schwan, sondern in eine große hässliche Ente verwandelt hat. Im allerschlimmsten Fall steht sie immer noch auf einen und versucht plumpe Annäherungsversuche. Sie liefert einen guten Grund, den eigenen Alkoholpegel nicht allzu sehr in die Höhe zu treiben, um nicht am nächsten Morgen mehr zu bereuen als unbedingt nötig.

Alles dies war leider erst die halbe Wahrheit. Die andere Hälfte bestand darin, dass die Party einen Fleisch-Großmarkt darstellte, oder, freundlicher ausgedrückt: die sanfte Form des Sklavenhandels, bei dem man die „Ware“ sorgsam auf Herz und Hintern überprüfte. Vervollständigt wurde das Ganze durch Modernisierung der guten alten Sitte des Tischtelefons, was folgendermaßen funktioniert: Der arme vereinsamte Tropf konnte zuvor eine Fisch-sucht-Fahrrad-Nummer erwerben. Mit dieser setzte er eine kleine Beschreibung seiner mehr oder weniger bescheidenen Ansprüche an das umworbene Geschlecht in das veranstaltende Magazin. Hat nun jemand  Lust auf eine Nummer, hinterlässt er eine kurze Nachricht am Infotresen, wann und wo man sich je nach Sympathie und Hormonstau zum Reden, zum Knutschen, zum Zu-Dir-oder-zu-mir oder zum War-nett-Dich-kennengelernt-zu-haben verabredet.

Der jeweilige Inhaber wurde über das Eintreffen der Mitteilung auf Monitoren in Kenntnis gesetzt. Es gab Zahlen, die permanent auf den Bildschirmen aufleuchteten, wahrscheinlich, weil sie einfach ihre Nachrichten nicht abholten – ergo bereits verkauft waren. Dann gab es die bedauernswerten Serien-Nummern, die immer wieder aufgerufen wurden und somit einen Frosch nach dem anderen küssen mussten. Schließlich aber liefen auch einige Ladenhüter herum, welche nie auf den Bildschirmen erschienen, und denen fürderhin jeglicher Stress erspart blieb. Letztere werden zumindest von der Enttäuschung verschont, zwar theoretisch in Frage zu kommen, aber praktisch doch nur ein netter Kerl zu sein.

Bereits an den Nachrichten konnte man gut erkennen, warum es der eine oder andere nötig hatte, auf der Party zu erscheinen. „Treffpunkt Cocktailbar“, wenn es im ganzen Haus drei davon mit langgestrecktem Tresen gibt, könnte unter Umständen ein wenig schwammig sein. „Du erkennst mich an schwarzen Jeans und braunen Augen“ erhöht die Wahrscheinlichkeit beträchtlich, dass die avisierte Partnerin unversehens dem Falschen tief in die Augen schaut.

Sollte man sich wirklich mit jemandem treffen, dem 22.55 Uhr als gutes Timing erscheint? Wer mag schon Buchhalter? Auch 1.15 Uhr für das Date auszumachen, wenn es erst kurz nach zehn ist, lässt nicht unbedingt auf ein ernsthaftes Angebot schließen. Man möchte sich doch wenigstens in der Top-Ten wähnen, oder?

Dass ich selbstverständlich aus rein literarischen Gründen auf dieser Veranstaltung gewesen bin, muss ich wohl nicht extra betonen. Und ich will gar nicht leugnen, dass auch attraktive junge Herren und hübsche Blondinen auf der Veranstaltung zu finden waren. Aber die sind schon damals in die andere Klasse gegangen und man hat sich nicht getraut, sie anzuquatschen.

Doch wenn ihr jemanden gern habt, nehmt euer Herz in beide Hände uns macht was draus.

Eine schöne Woche wünscht Leovinus.

(2000)

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