Bei der Post geht’s nicht so schnell

Boomtown 14/2000

Vom 4.September 2000

Bei der Post geht’s nicht so schnell

Dass Deutschland offiziell zur Service-Wüste ausgerufen wurde, ist bekannt. Welche manchmal tragischen Wege man durch Bürokratie gehen kann, hat seinerzeit Kafka behandelt. Der älteren Generation wird noch der „Buchbinder Wanninger“ vertraut sein, dem eine Odyssee am Telefon zum Verhängnis wurde.

Diesen Blüten der Weltliteratur möchte ich eine weitere Episode hinzufügen.

Hiermit möchte ich davor warnen, sich den ssssssssuperschnellen Internet-Zugang mit T-DSL zuzulegen. Jedermann sollte froh sein, weiterhin mit einem 56K-Modem oder meinetwegen ISDN herumzugurken.

Zunächst muss ich kurz die Arbeit des Telekom-Technikers loben, der sich nur zwei Monate nach Antragstellung nach Berlin-Mitte durchschlug und uns in einem halbtägigen Einsatz die notwendige Ausrüstung verschaffte. Als er fertig war, funktionierten die Geräte zwar nicht, aber das werde, so versicherte er uns, von der Zentrale per Fernbedienung automatisch in ein bis zwei Tagen behoben sein. Zunächst jedoch müsse er den Anschluss als ordnungsgemäß installiert abrechnen, um anschließend gleich eine Störungsmeldung an die entsprechende Abteilung zu geben. Dies war jedoch noch das geringere Problem.

Ich erspare der werten Leserschaft die Einzelheiten der ersten fünfundzwanzig Telefonate, die nötig waren, um an die ebenfalls erforderlichen Zugangsdaten des T-Online-Anschlusses zu gelangen. Nur soviel dazu: Die hochprofessionelle Warteschleife des größten Telekommunikationsunternehmens von Deutschland ist nervenzerfetzend. Dieser akustische Hochgenuss besteht aus einem Frauen-Singsang, der von Zeit zu Zeit durch unmotiviertes Knacken unterbrochen wird, sodass man denkt, wäre man endlich an der Reihe. Allerdings erhält man nur die überraschende Mitteilung, dem sei nicht so, aber demnächst ganz bestimmt.

Im ersten Anruf bei der Telekom wurde zunächst geleugnet, dass wir bei ihnen einen T-Online-Antrag gestellt hätten. Man erklärte mir ausführlich den Verfahrensweg, welcher nämlich darin besteht, dass die Telekom den Antrag zwar entgegennimmt – um die Sache zu vereinfachen -, diesen aber an T-Online weiterleitet, welche wiederum die Daten per Briefpost an uns versendet. Bemerkt jemand diese raffinierte Arbeitsteilung? Wenn da irgendetwas schief geht, kann immer ein Unternehmen die Schuld auf eines der anderen beiden schieben. So werden Arbeitsplätze geschaffen und alle sind zufrieden. Wenn man vom Kunden einmal absieht, aber der zählt ja sowieso nicht.

 

Das fünfundzwanzigste Telefonat führte ich also mit T-Online. „T-Online-Kundendienst, mein Name ist XY, was kann ich für Sie tun?“ – „Guten Tag, Herr XY. Vielleicht können Sie mir ja weiterhelfen, ich versuche seit Tagen eine Auskunft zu bekommen…“ – „Ja, ich weiß, das ist ein Scheißladen hier.“ Schluck. So hatte ich das noch gar nicht gesehen. Fast bedauerte ich ihn, in so einem „Scheißladen“ tätig zu sein. Als ich wieder Luft bekam, stimmte ich ihm einfach zu und stellte meine Frage nach den Daten. „Dazu müssen Sie uns ein Fax schicken, damit wir sie Ihnen zuschicken können. Die Nummer ist…“ – „Moment, ich soll Ihnen ein Fax schicken? Ich habe jetzt schon fast zehn Nummern angerufen, niemand konnte mir Auskunft geben, ob mein Antrag überhaupt bei Ihnen angekommen ist und da soll ich auf ein Fax vertrauen? Vergessen Sie es.“ An dieser Stelle verfiel Herr XY, der wirklich existiert- ich schwöre es – in einen konspirativen Ton: „Ich will Ihnen etwas verraten.“ An dieser Stelle kroch ich fast in den Hörer. „Also, da gibt es so eine Stelle, an die ich Sie weitervermitteln kann. Die ist nur für solche Fälle, dass jemand sagt, er will kündigen. Wenn Sie das sagen, dann tun die alles, was Sie wollen. Aber das habe ich Ihnen jetzt nicht gesagt, verstehen Sie?“ Mir war inzwischen alles egal, also behauptete ich nicht ganz unwahrheitsgemäß, dass ich wirklich  bald den ganzen Kram hinschmeißen würde. Mein Teil der Abmachung war erfüllt. „Gut, dann verbinde ich Sie.“ Zirka eine halbe Minute dauerte diesmal die Warteschleife, dann hatte ich Herrn XY wieder am Hörer. „Es tut mir leid, da nimmt keiner ab.“

Ich versuchte eine andere Strategie. Ich ging zurück auf „Los“, zog nicht 4000 Mark ein und rief bei der Telekom an. „Ich habe bei Ihnen einen T-Online-Antrag gestellt und…“ – „Nein, den haben Sie nicht…“ – „Verzeihung, ich meinte, ich habe bei Ihnen T-DSL beauftragt, woraufhin Sie meinen T-Online-Antrag weitergeleitet haben müssten, welche mir dann die Daten per Gelbe Post zugeschickt haben sollten.“ – „Genau.“ (Hm, braves Hundchen, hat seine Lektion gelernt. Ob ich jetzt die Belohnung kriege?) – „Ich möchte gern wissen, ob und wann Sie den Antrag weitergeleitet haben.“ – „Das kann ich Ihnen nicht sagen. Das steht hier nicht im Computer.“ (Gleich beiße ich.) „Aha, … äh, wer kann mir das denn sagen?“ – „Warten Sie, ich gebe Ihnen eine andere Nummer.“ Großartig, dachte ich, langsam brauche ich ein neues Notizbuch, dessen Register nur den Buchstaben „T“ beinhaltet. Fairerweise muss ich hinzufügen, dass diese Anrufe außer Nerven und Zeit nichts gekostet haben. Erneute Warteschleife, erneut sagte ich meinen Vers auf. Es folgten Fragen nach der Adresse, der Telefon-Nummer, der Kundennummer und schließlich: „Sie sind also Geschäftskunde?“ – „Ja.“ – „Dann müssten Sie den Geschäftskundensupport anrufen. Der hat die Nummer…“ Ich weiß genau, dass es diese Nummer tatsächlich gibt. Ob sich dahinter allerdings der Geschäftskundensupport verbirgt, kann ich nicht sagen, da die Warteschleife (man erinnere sich: Frauen-Singsang und „Jetzt geht’s gleich los.“) das Gespräch stets selbsttätig terminierte.

Also erneuter Strategiewechsel. Anruf bei T-Online. Wieder erklärte ich mein Ansinnen. Darin wurde ich übrigens im Laufe der Zeit immer effizienter, da ich den ganzen Komplex mit immer weniger Worten immer schneller erklären konnte. Wieder wurde ich nach Namen, Kundennummer (die wir bei T-Online natürlicherweise noch nicht haben) und Adresse gefragt. Und das Wunder geschah. Man fand unsere Firma im Computer! Man wusste sogar, wann der Antrag von der Telekom weitergereicht wurde – nämlich gut einen Monat nachdem wir ihn gestellt hatten. Allerdings stellte sich auch heraus, dass wir in grauer Vorzeit schon einmal einen T-Online-Anschluss besessen hatten, von dem ich aber keinen blassen Schimmer hatte. Aber genau da lag der Fehler. Als der Computer dort nämlich feststellte: Ach, die haben ja schon einen Anschluss, da brauche ich ja gar nichts mehr machen  – gab er eine Fehlermeldung aus, die niemanden interessierte und brach die weitere Verarbeitung ab. „Schicken Sie uns einfach ein Fax, dann erhalten Sie Ihre Daten nochmals.“ – „Na, meinetwegen. Da steht dann auch die Nummer drauf, die gewählt werden muss und meine Zugangs-ID und der Name-Server und alles?“ – „Name-Server?“ – „Naja, eben die ganzen technischen Daten, die man so braucht. Sie wissen schon…“ – „Naja, also so ungefähr schon … also, das sind die gleichen Daten, die Sie schon haben müssten.“ – „Habe ich aber nicht.“ – „Wissen Sie was? Ich schicke Ihnen einfach alle Daten, die Sie bekommen müssten, wenn Sie einen Neuantrag stellen.“ – „Ich muss also kein Fax schicken?“ – „Nein. Das geht heute mit der Post raus und Sie müssten die Daten in ein oder zwei Tagen erhalten.“

 

Dieses Gespräch führte ich am letzten Donnerstag, volle zwei Monate, nachdem den Antrag an einen Herrn G. von der Telekom gefaxt hatte, welcher übrigens seitdem spurlos verschwunden ist. Ich bin sehr gespannt, ob am Montag Post für mich kommen wird. Und vor allem, von wem: Herrn G.? Herrn XY? Dem Computer? Vielleicht gibt es ja doch noch ein Happy End und ich komme ssssssssssssuperschnell ins Internet. Vorausgesetzt, die Zentrale hat inzwischen den Geschäftskundensupport wiederbelebt und per Fernbedienung den Fehler behoben.

Damit wäre ich auch fast am Ende mit dem Thema kafkaesker Vorgänge einhundert Jahre nach Kafka. Nun noch etwas für die Freunde der Klatschkolumne. Immerhin hat auch das Folgende etwas mit der leichten Verdrehung von Tatsachen zu Ungunsten einer unschuldigen Bürgerin zu tun. Diese lebt in England und wurde nach fünfzig Jahren Ehe von ihrem Mann geschieden. Ihr Gatte hatte sie über achtundzwanzig Jahre lang betrogen und mit der anderen Frau einen inzwischen sechzehnjährigen Sohn. Da in Großbritannien Ehen nach dem Schuldprinzip getrennt werden, wurde die Frau am Scheitern der Ehe schuldig gesprochen und musste dreiviertel der Gerichtskosten tragen. Was hatte sie falsch gemacht? Sie hat sich „unvernünftig verhalten“, jawohl. Wie konnte sie auch den zukünftigen Ex und seine Geliebte mit unfreundlichen Telefonanrufen belästigen und sich an die Presse wenden? Das hatte der arme Fünfundsiebzigjährige wirklich nicht verdient. Meiner Ansicht nach hat der Richter im Prinzip richtig entschieden, allerdings mit der falschen Begründung. Wer sich 28 Jahre lang betrügen lässt und nichts davon mitbekommt, der liebt seinen Ehepartner nicht wirklich. Es lebe die Eifersucht!

Abschließend möchte ich noch eine kleine Geschichte erzählen, die das Thema Internet mit dem der berechtigten Eifersucht in einen Zusammenhang bringt. Während der am letzten Wochenende stattgefundenen Internet-Konferenz „BerlinBeta“ wurde unter anderem der ChaosComputerClub-Mitbegründer Wau Holland gefragt, was denn sein „most delirious moment with the Internet“ war. Seine Antwort war „Liebesbriefe per E-Mail“. Er hatte der Angebeteten nach deren Auskunft so viele geschriebene Perlen geschickt, dass sie sich ein Geschmeide daraus machen könnte. Auf diese Antwort hin kam die erstaunte Gegenfrage: „Ach, und ich dachte, das wäre irgendein besonderer Computer-Hack gewesen?“ – „Es war ein ‚social hack‘. Sie hat danach ihren Freund verlassen.“

Eine schöne Woche wünscht Leovinus.

Und: Wenn ihr jemanden gern habt, nehmt euer Herz in beide Hände und macht was draus.

(2000)

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