Depressionen leicht gemacht

Boomtown 03/2001

Vom 15. Januar 2001

Depressionen leicht gemacht

Um Kolumnen wie diese zu schreiben ist eine gewisse Portion gesunder Depressivität von Nöten. Da die erste Boomtown-Ausgabe auf den Oktober 1999 datiert, liegt es nahe, dass ich eine nicht unerhebliche Erfahrung im Erlangen des erforderlichen Negativ-Niveaus besitzen sollte.

Verschiedene Methoden haben sich bewährt. Manchmal genügt es, sich Samstag vormittags mit den hektischen Kassiererinnen im Einkaufscenter anzulegen, deren Bestreben darin besteht, frisch gekaufte Ware möglichst kraftvoll aus dem Kassenbereich zu entfernen. Ein probates Mittel, an der Fähigkeit der Welt zu verzweifeln, ist zudem der Versuch, sich bei der „Fitness company“ in Berlin Prenzlauer Berg anzumelden, was dazu führen kann, dass man das verzweifelte Personal fragen möchte, ob man ihm nicht helfen kann. Genügt dies nicht, öffnet man einen beliebigen Houellebecq-Roman auf irgend einer Seite und liest darin, um sich zehn Minuten später auf dem Dach des höchsten Gebäudes der Stadt wieder zu finden. Schließlich und endlich kann es nicht schaden, etwas Geld in seine Depression zu investieren und eine Kontaktanzeige aufzugeben. Frauen erfahren dadurch, dass sich eine ungeahnte Menge an Sediment auf dem Grund der männlichen Seele befinden kann. Männer erleben, dass es keine Frauen gibt, die Kontaktanzeigen lesen.

Viel schwieriger allerdings ist es, die Tiefen des Trübsinns zu verlassen, um wieder in die Gesellschaft der Frohen und Glücklichen zurückzukehren. Jüngst befragte ich völlig übermüdet vier verschiedene Freunde und erhielt prompt vier völlig unterschiedliche Auffassungen dazu.

Freund Nummer Eins ist Anhänger der religiösen Methode. Er begann zwar mit der Aussage, dass Anfälle von Trübsinn und daraus resultierender Schlaflosigkeit zum Alltag gehörten und „schlaf dich nur richtig aus, dann sieht die Welt schon wieder viel runder aus.“ Als er jedoch merkte, dass mich dies nicht wirklich in bessere Laune versetzte, erbot er sich, mit mir in den nächsten Buddhisten-Tempel zu gehen. „Da werden wir dich mal ordentlich durchmeditieren.“

Die Öko-Variante „Hilfe zur Selbsthilfe“ wird von Freund Nummer Zwei bevorzugt. Ich müsse irgend etwas nur für mich ganz allein tun. Wie wäre es beispielsweise mit der wunderbaren Tätigkeit der Herstellung von eigenfüßig bemalten Untertassen? Sie sähen nicht nur hässlicher aus als man selbst. Man hätte auch etwas geschaffen, das noch wertloser ist als das eigene nutzlose Ich. Dieses könnte dann morgens nach durchwachter Nacht am Frühstückstisch das wunderbare Gefühl genießen: Es gibt etwas auf dieser Welt, das von noch weniger Menschen gemocht wird. Aber was tut man, wenn der Geschirrschrank schon vor hässlichen Untertassen platzt?

Noch immer am Boden zerstört befragte ich Freund Nummer Drei per Ferngespräch. Er diagnostizierte zu meiner Erleichterung eine hübsche Midlife-Crisis. Nicht unüblich in meinem Alter, betonte er und bestand auf chemischen Waffen. Flugs diktierte er mir drei verschiedene Medikamente, in jeder Apotheke erhältlich und auch gar nicht teuer. Seitdem weiß ich, dass er nicht nur besser aussieht als ich und den leichteren Job hat, sondern auch noch das bessere Gehalt sein Eigen nennt. Zu einem weiteren Telefonat kam es nicht, da er gerade mit seiner verboten gut gebauten Freundin auf den Malediven weilt.

Also traf ich am Sonntagabend Nummer Vier im Bunde. Dieser erkannte die Ursache meines Tiefs mit glasklarer Psychoanalyse. Am besten wäre es, so erklärte er, zukünftig Niederlagen auch als solche anzuerkennen statt sie zu verdrängen. Zu letzterem würde ich nämlich neigen. Wenn ich mir erst einmal klar machen würde, dass ich nicht perfekt wäre, könnte ich mich auch viel eher annehmen und wäre insgesamt glücklicher. Ich trocknete meine Tränen, dachte kurz darüber nach und kam zu dem Schluss: Aha, ich fühl mich also mies und nutzlos und ungeliebt, weil ich tatsächlich mies und nutzlos und ungeliebt bin.

Außerdem habe ich noch wirklich unfähige Freunde. Ich denke, ich sollte zur Aufheiterung ein paar Seiten Houellebecq lesen.

Eine schöne Woche wünscht Leovinus.

Und wenn ihr jemanden gern habt, nehmt Euer Herz in beide Hände und macht was draus.

(2001)