Sieben Pluspunkte für die toten Maya

taschenuhrBoomtown 19/2001

Vom 6.August 2001

Sieben Pluspunkte für die toten Maya

Manch Sonntag döse ich im Park auf der Wiese und denke gestresst: Mein Gott, will diese blöde Kolumne denn nie fertig werden? Es gibt Dinge, die kein wohl verdientes Happy End erlangen. Denn die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte voller Aufschiebungen und Verspätungen. Der erste Homo sapiens aufschieberitus war zweifellos der Neandertaler. Er schob seine eigene Entwicklung so lange auf, bis er sich selbst und damit das Problem erledigte.

Ein weiteres Musterbeispiel ist der biblische Methusalem, welcher gar seinen eigenen Tod um einige hundert Jahre verschob.

In der jüngeren Geschichte der Kunst gelten die russischen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts als bekannteste Aufschieblinge. Tolstoi und Dostojewski gelang es stets, das Ende ihrer Romane um ein paar Tausend Seiten hinauszuzögern. Auch auf die letzte Note der Zehnten Sinfonie Ludwig van Beethovens warten wir bis heute.

Selbstverständlich hätte es zahllose weitere berühmte Aufschieber geben können, wären diese nicht leider stets viel zu früh verstorben, um Spuren zu hinterlassen. Deshalb ist es an der Zeit, das Problem genauer unter die Lupe zu nehmen. Immerhin gibt es für jede Verspätung triftige Gründe. Sind bei der Bahn schlichtweg die Fahrpläne schuld, so gibt es bei der Renovierung, oder vielmehr Nicht-Renovierung meines Badezimmers seit fast genau drei Jahren ganze sieben verschiedene Gründe, es in seinem ursprünglichen Zustand zu belassen.

Der erste Grund lautet: Grundrecht. Ich bin ein freier Mensch. Warum muss ich mich mit solch schnöden Dingen befassen? Es ist höchste Zeit, dass sich das Verfassungsgericht diesen Problems annimmt, denn immerhin schränkt es meine Persönlichkeit für die Dauer von einem, wenn nicht gar zwei Wochenenden meines Lebens ein.

Punkt zwei: Der Zeitpunkt. Niemand weiß, wann ich mit diesen Arbeiten definitiv starten soll. Weshalb heute, warum nicht nächste Woche? Warum im Sommer, wenn das Wetter viel zu schön ist, um sich mit solcherlei Innenarbeit zu beschäftigen? Hingegen ist der Winter völlig unpassend. Man muss das Zimmer lüften können, damit die Farbe schnell trocknet. Oder darf die gar nicht schnell trocknen? Woher soll ich das wissen, bin ich Maler? Am besten, ich kaufe erst ein Buch, um mich auf diese hoch komplizierte Tätigkeit vorzubereiten.

Grund drei: Vorbereitung. So eine Arbeit will ordentlich bedacht werden. Die Idee mit dem Buch war ein guter Anfang. Welches Buch? Wo kaufe ich das am besten? Im Internet? Amazon oder lieber BOL? Vielleicht besser Libris? Herrjeh, wer hätte gedacht, dass Renovieren dermaßen schwierig ist!

Aber ich will die Dinge, die ich mache, richtig tun. Denn Grund vier hört auf den Namen Perfektion. Die Sache muss schon Hand und Fuß haben. Was nützt mir ein renoviertes Bad, wenn ich mich darin nicht wohl fühle? Ich habe keine Lust, das Ganze im nächsten Jahr noch einmal durchzuziehen.

Da fällt mir ein, dass hier nächstes Jahr sowieso das Rohrsystem saniert wird. Darauf warte ich jetzt seit drei Jahren. Damit haben wir Grund fünf: die Hausverwaltung. Solche Leute kann ich wirklich leiden. Die haben doch ihr übriges Leben auch nicht im Griff. Ewig schieben sie alles auf und wir müssen die Konsequenzen tragen.

Sonst (Nummer Sechs), wäre das mit der Malerei wirklich einfach: Wenn ich mal begonnen habe, ist das ganz fix fertig. Also kann ich mir mit dem Anfangen wirklich Zeit lassen.

Außerdem muss man die Badezimmer-Problematik einmal im Universal-Maßstab betrachten. Grund Nummer Sieben: Ökologie. Aufschieben fördert die globale Unordnung und ist gut für die Umwelt. Denken wir an die untergegangenen Städte der Maya. Jahrhunderte lang hat dort niemand saniert, installiert oder renoviert. Das Ergebnis ist blühender Dschungel in den Gesteinen! Chlorophyll! Sauerstoff-Lieferant für die gesamte Erde! Hätten die Maya überlebt, würde dieser wertvolle Bestandteil der Atemluft schlichtweg fehlen! Das Gegenbeispiel dazu liefern die benachbarten Azteken. Diese gründeten nämlich 1325 die Stadt Mexiko, in welcher heutzutage der Sauerstoff knapp wird. Dort leben noch immer Azteken und schieben auf, was die Tempelkalender hergeben.

Aber habe ich wirklich Lust auszusterben, bloß weil der in meine Wanne rieselnde Putz die Menschheit rettet? Lieber beginne ich gleich morgen mit dem Badezimmer.

Oder sollte ich zuerst die Küchentür streichen?

Und wenn Ihr jemanden gern habt, nehmt Euer Herz in beide Hände und macht was draus.

Leovinus.

(2001)