Die Taufe (Auszug)

Bert ging seine Runde um den See. Seit Jahren zog er so sein Leben auf, das Räderwerk geschmiert für eine neue Woche. Ein gleichmäßiger Lauf ohne Störungen und Höhepunkte. Als er den See halb umrundet hatte, langte er unter der alten Weide an, die ihre Zweige geduldig in das Wasser baumeln ließ. Ein Blatt segelte herab und streifte ihn. Ein Gedanke blieb hängen. Ein Gedanke, so abwegig, dass er ihn am liebsten eingegraben hätte. Bert löste sich von der Weide und stiefelte durch den Ort.

Die Kirche, die wie ein übergewichtiges Kind an der Dorfgrenze kauerte, zeugte von einstigem Ruhm der Gegend. Ihre große Tür fiel mit Nachdruck hinter Bert ins Schloss. Ein kalter, verwinkelter Raum. Erstaunt sah Bert sich um. An den weißen Wänden hingen Hepatitis-B-Warnungen und Werbeplakate für Darmspiegelungen. Gegenüber der Tür tippte ein blasses Mädel hinter einem flachen Tresen auf eine Computertastatur. Bert überlegte, wann er das letzte Mal in der Kirche gewesen war, gab das Grübeln aber nach kurzer Zeit auf.

„Ja?“ fragte das blasse Mädel gelangweilt.

„Ich wollte … Was ist mit der Kirche passiert?“

Das Mädel lächelte schief wie eine Kinderzeichnung. „Ist schon ewig keine Kirche mehr. Die Praxis von Dr. Kunz feiert Fünfjähriges.“

Aha, dachte Bert. Er kramte aus dem Portemonnaie seine Krankenkarte, da er nun einmal hier war, wollte er auch nicht umsonst gekommen sein. Das Mädel verzog keine Miene und schickte ihn professionell in den kahlen Warteraum. Jemand hatte nur mit einer Reißzwecke ein Foto der Weide an die Wand gepinnt.

Obwohl kein weiterer Patient anwesend war, musste Bert über eine Viertelstunde warten, ehe die Schwester ihn abwesend ins Behandlungszimmer winkte. Bert ging hinein und stieß gegen einen Schreibtisch. Der niedrige düstere Raum war kaum größer als eine Telefonzelle. An den Wänden drängten sich schmale Regale mit Flaschen und medizinischem Gerät.

Hinter dem Schreibtisch hockte auf einem Drehstuhl ein Männchen mit verschrumpeltem Gesicht wie ein alter Apfel. Seine Nase rot, der graue Haarkranz wollte nach allen Seiten wilde Flucht ergreifen.

„Ich behandle keine Hunde“, sagte der Zwerg ohne aufzusehen.

( 2009 )

Den kompletten Text kann man in meinem Buch „Am Donnerstag hat Gott Geburtstag“ lesen.

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