Anna Nicole Smith, Amoklauf und Halloween

Boomtown – Die Montagskolumne aus Berlin

Nummer 02/1999 vom 01.11.1999

In Amerika versucht eine 31-jährige Blondine ihr Millionenerbe einzuklagen. Sie war 14 Monate lang mit einem 90 Jahre alten Milliardär verheiratet, den sie in einer Strip-Bar kennengelernt hatte und der sie die „Liebe seines Lebens“ genannt haben soll. Das Erbe streitig machen will ihr ein Sohn des Milliardärs. Ein weiterer Sohn, der allerdings ebenfalls leer ausgegangen ist, unterstützt sie.
Gewisse Geschichten sollten nur in Soap-Operas und Bastei-Lübbe-Heftchen stattfinden. Ich frage mich, was zuerst da war: die platte Wirklichkeit oder die überschäumende Phantasie der Autoren? Wäre Anna Nicole Smith von allein auf die Idee gekommen, sich den alten Knacker zu angeln? Oder benötigte sie dazu literarischen Beistand? Zur Idee, einen – unter uns Pfarrerstöchtern – sicheren Friedhofskanditaten der nächsten 5 Jahre zwecks Bereicherung zu verführen braucht es nicht allzu viel. Ein Stundenlohn von etwa 78.277 US-Dollar bei dem zu erwartenden Gewinn ist ebenfalls nicht zu verachten. Aber hätte sie auch von allein die Chuzpe gehabt, diese Idee ins Leben zu transformieren, wenn es nicht unzählige papierene Gestalten ihr vorgemacht hätten? Kunst erzeugt Leben.
Aber Fiktion erzeugt auch Helden. Nachdem in den USA schon der eine oder andere Durchgeknallte sich einiger seiner Mitschüler und anschließend sich selbsts entledigte, konnte genau dies nun eine Petze in Cleveland verhindern. Sie wusste genau, was zu tun ist, nachdem sie von den Plänen ihrer Mitschüler erfahren hatte, den einen oder anderen Lehrer und Kommilitonen aus der Schule des Lebens zu exmatrikulieren. Nun kennt man ja die wahren Hintergründe ihres Verhaltens nicht. Vielleicht durfte sie auch einfach nur nicht mitspielen. Oder sie fürchtete, ihre eigenen Karrierechancen verbaut zu sehen, wenn die Schule in Verruf käme. Möglicherweise wäre sie im Durchführungsfalle im Klassenvergleich auf den letzten Platz gerutscht. Tatsache ist jedenfalls, dass sie nun Lehrers Liebling und Medienqueen ist, statt des wenig verlockenden Schicksals Nummer 5 von vielleicht 25 Ermordeten zu sein.
Was gabs noch in der vergangenen Woche? Oh ja! Zartbesaitete Naturen sollten jetzt mal weglesen, denn uns’ aller Rex ist in den Tod gesprungen – nein, nicht der Kommissar, sondern der, dessen Nachname Vorname für einen seiner Nachkommen ist. Tja, kann und sollte man gar nicht soviel zu sagen, außer vielleicht: „Hossa!“ – Plumps.
Morbide zu sein ist ja eine Eigenschaft, die ganz besonders zum zurückliegenden Halloween-Wochenende passt. Ich habe allerdings keine Ahnung, was dieses Fest hierzulande zu suchen hat, denn in Deutschland gibt es nur verhältnismäßig wenige Iren, aus deren Land der Brauch stammt (umgekehrt sieht es wahrscheinlich schon anders aus). Auch die Amerikaner sind seit dem Ende der Besatzungszeit nicht mehr ganz so dicht gesät. Wahrscheinlich braucht einfach doch jeder Deutsche seinen Karneval. Und da die preußischen Studenten, wie z.B. mein Kumpel Norman, nicht so gern zugeben, dass auch sie sich ganz gern verkleiden und harmlose Späßchen mögen, muss eben ein unverfänglicher angelsächsischer Brauch her. Zum einen kaspert man 11 Tage früher als der ganze Rest herum, und zum anderen klingt es einfach besser, wenn man sagt „Ich feiere Halloween!“ als „Ich mach Fasching!“ Außerdem hat man so Gelegenheit, zu zeigen, was man in den Selbsterfahrungskursen gelernt hat: und Normans Kürbis sieht aus wie seine tote Mutter.
Eine schöne Woche noch wünscht Leovinus.

(erschienen am 1.11.1999 im Forum von www.berlinerzimmer.de)

 

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