Zahlenmystik

Montagskolumne, 05/1999

Der moderne Mensch nimmt viel zu wenig Rücksicht auf die Zeichen, die ihm die Natur und seine Vorfahren geben. Beispielsweise war der vergangene Freitag in mehrerlei Hinsicht ein besonderer Tag: Er begann damit, dass mein Wecker nur ein einziges Mal klingelte, was dazu führte, dass ich anderthalb Stunden zu spät im Büro war. Kurioserweise war selbiges auch meinem Chef widerfahren, wie ich wenig später erfuhr. Kaum war ich fünf Minuten auf Arbeit, stellte sich heraus, dass es nicht weniger als fünf weiteren von 15 Kollegen so oder ähnlich ergangen war. Irgendwie steckte in diesem Tag der Wurm. Der gesamte Vormittag war von permanenten Rechner- und Druckerabstürzen geprägt. Gegen 13 Uhr erreichte mich eine mysteriöse E-Mail, die all dies erklärte: der 19.11.1999 war nämlich nicht nur das 30jährige Bühnenjubiläum der DeutschRock-Combo „Puhdys“ und Meg Ryans Geburtstag, sondern auch der letzte Tag für eine lange Reihe von Jahren, dessen Datum nur aus ungeraden Ziffern besteht. Dies werden wir, die Puhdys und Meg Ryan erst am 1.1.3111 wieder erleben, sofern irgendjemand von uns über 1100 Jahre alt wird. (Nun ja, die Puhdys werden’s wohl schaffen…) Das nächste Datum, welches ausschließlich aus geraden Ziffern besteht, liegt übrigens bereits am 2. Februar 2000, welcher damit eine lange Durststrecke seit dem 28.8.888 beendet. Hinzu kommt, dass sich die englische Schreibweise für den 19. November „11/19/99“ liest: drei(!) aufeinanderfolgende Einsen und Neunen, was, wie bei jedem Datum, nur alle hundert Jahre vorkommt. Also nichts Besonderes, da wir es ja alle schon einmal erlebt haben, wenn stimmt, was neulich in der „B.Z.“ behauptet wurde: nämlich, dass wir alle demnächst 120 Jahre alt werden. Ich weiß nicht, wie es anderen geht, bei mir wird das noch ein paar Jahrzehnte dauern, eine kleine Ewigkeit.

Es ist schon eine merkwürdige Sache mit der Unendlichkeit. Jeder glaubt zu wissen, was gemeint ist, aber niemand wird sie je bei lebendigem Leibe erfahren. Abgesehen natürlich vom diesjährigen Winter, bei dem ganz deutlich abzusehen ist, dass er ewig dauern wird. Allein die Zeit, die noch bis zum Weihnachtsfest verbleibt, besteht noch aus einer unzählbaren Ansammlung von Tagen, die nur durch Dunkelheit, Kälte und Schnupfen versüßt werden. Das Besondere der Unendlichkeit besteht ja darin, dass sie aus einer unendlichen Zahl von Einheiten ihrer selbst gebildet werden kann. Beispielsweise dem Warten bei Schnee und Matsch an der Bushaltestelle. Oder die Zeitdauer bis der neue Berliner Senat gebildet sein wird. Oder der Anzahl der kleinen Lämpchen in den auf amerikanische Weihnachten getrimmten Potsdamer-Platz-Arkaden.

Und zeitlich inmitten von alledem ruhen die wirklich Ewigen, beispielsweise die toten Hohenzollern (die lebendigen sind ebenso endlich wie wir, das unadelige Fußvolk). Die Särge vorgenannter kann man nun in Berlin wieder betrachten, falls man an protzigen Holzkisten mit verzierten metallenen Griffen interessiert ist. Sollte für einen selbst eine derartige Form der Bestattung zu überdimensioniert erscheinen, kann man sich getrost in die wachsende Zahl derer einreihen, die anonym in die Ewigkeit gehen wollen. Ein quadratmetergroßes Stück Wiese tut’s schließlich auch.

Um den Kreis zur Zahlenmystik zu schließen bedienen wir uns einfach eines solchen, welcher sich ebenfalls durch seine Unendlichkeit auszeichnet. Die Zahl „3“ hat ja in der Mythologie eine überragende Bedeutung. Und ein Kreis wird bekanntlich in 360 Grad eingeteilt. Fällt Ihnen etwas auf? Richtig! Das ist genau jene Zahl, die man – unter Vernachlässigung der ohnehin wertlosen Null – erhält, wenn man die schicksalhafte „13“ mit 3 multipliziert und dann exakt 3 wieder abzieht. Was will uns dies sagen? Nichts? Gar nichts? Na, dann bilden Sie doch einmal die Quersumme der Ziffern dieser Kolumnenausgabe: 0+5+1+9+9+9 = ??

Alles hängt mit allem zusammen.

Eine unendlich schöne Woche wünscht Leovinus.

( erschienen am 21.11.1999)

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