Cogito 02/2000
Vom 21.Februar 2000
lat.: co- + agito »eine Sache im Geist zusammenfassen«
Wadde solln datt?
Letzten Freitag wurde Tante ARD richtig poppig. Da blitzten die Scheinwerfer und modernste Digitaltechnik ließ bunte Effekte über den Bildschirm purzeln, von denen wir schon vor zehn Jahren hofften, dass sie mit dem DDR-Fernsehen untergehen würden. Es ertönt Musik aus den Siebzigern und er beginnt, der deutsche Endausscheid zum »Grand Prix Weiß-eh-keiner-genau-wie-das-heißt«. Frenetischer Jubel für die beiden Jungs von der Telekom –nicht Jan und Ullrich, sondern Stefan und Detlef an den Computern. Sie sind sozusagen der Walter Sparbier der Neuzeit. (Erinnert sich noch jemand an den Herrn, der früher bei Wim Thoeoeoelke seinen Auftritt in einer historischen Postuniform hatte?) Zuvor mussten wir noch die »weltbeste Abba-Cover-Band« (Zitat) über uns ergehen lassen. Undercover hätten sie mir besser gefallen.
Im Nachhinein betrachtet ist völlig unklar, was diese 105 Minuten Heuchelei überhaupt sollten. Man musste schon blind sein, um nicht zu erkennen, wer das Rennen machen würde. Weder der Versicherungskaufmann David aus Köln noch das Pop-Starlet »Fritz-love-my-tits«-E-Rotic, die betrunkene Claudia oder Marcel (iiiiiiiiih, ist der echt?) noch Ralph Siegel in Form von Corinna May hatten den Hauch einer Chance, die Dienstreise nach Stockholm zu gewinnen.
Warum bloß hat Stefan Raab so einen Wert darauf gelegt? Was soll der Quatsch? Darf der Grand Prix nicht das, was jeder darf, der alt wird – einfach sterben? In diesem Jahr quietschte die Beatmungsmaschine unüberhörbar. Raab hat sie nicht geölt, sondern einfach das Letzte aus ihr herausgeholt. Dass dies ein Kampf mit ungleichen Waffen war, scheint ohnehin niemanden zu stören. »Kind of Blue«, die ihren englischen Text mit einem hübschen deutschen Akzent verzierten, waren z.B. das erste Mal überhaupt im Fernsehen. Auch wenn man sich wünscht, es möge zum letzten Mal gewesen sein.
Das gemeinste, das Stefan Raab getan hat, war übrigens, dass man am Ende nicht mehr wusste, wer lustig und wer echt Müll ist. Startnummer 11, Ric Tess – nach eigenen Angaben besser bekannt als »Fancy« -, hätte gut als Stefan-Raab-Cover durchgehen können. Man sollte den Grand Prix einstampfen, ehe er noch mehr Schaden anrichtet.
Stefan Raab selbst scheint die Sinnlosigkeit seines Unterfangens nicht zu bemerken oder zu stören. Mit Genuss trampelt er auf den Nerven seiner Zeitgenossen herum und zwingt sie indirekt dazu, sich so grässlichen Schrott wie die Bonnie-Tyler-Wiedergängerin Claudia Cane mit ihrem halbwegs bei Rod Stewart geklauten »Free« anzutun.
Aber Rücksicht ist eh nicht dessen Metier. Bei ihm siegt die Gemeinheit über den Humor, wenn er irgendwelche alten Leute in seine Show holt, die nicht wissen, wie ihnen geschieht. Dann freut sich die werberelevante Zielgruppe, so jung zu sein und ein so feines Hochdeutsch zu sprechen. Sein Rezept heißt Schadenfreude, das »Du merkst gar nicht, wie blöd du bist und ich sag’s dir auch nicht. Deshalb bin ich viel cooler als du.«
Man sagt, Feinde werden sich mit den Jahren immer ähnlicher. Stefan Raab ähnelt seinem Lieblingsfeind Ralph Siegel und nebenbei auch der ARD. Alle setzen auf Nummer Sicher und gehen kein Risiko ein. Keiner will die angepeilten Zuschauer verprellen. So bleiben die Claims abgesteckt und jeder darf sich seine Welt in Gut und Böse aufteilen. Das führt unweigerlich zur Gewissensfrage: Ist Stefan Raab der Gute? Oder der Böse, und genau deshalb der Gute? Oder heißt die Frage ganz anders?
Puh, soweit wollte ich jetzt gar nicht gehen. Das kommt vom vielen ARD-Schauen, davon wird man so seriös.
Menschlich gereift: Leovinus.
(erschienen am 21.Februar 2000 auf der Startseite der Leselupe)