Im Besteckkasten

besteckManchmal, wenn ich in der Küche stehe, und nichts zu tun habe, denke ich über das Geschlechtsleben meines Bestecks nach. Löffel, Gabel und Messer liegen so friedlich nebeneinander, dass man fast nicht glauben möchte, was da für Orgien stattfinden, sobald ich die Schublade schließe.

Doch es gibt immer wieder kleine Anzeichen, mit denen sich die unschuldig blitzenden Esshilfen verraten. Sei es ein Messer, das den Weg aus dem Löffelfach nicht rechtzeitig zurück fand oder ein nicht zu unterschätzender Teelöffel, der unbegreiflicherweise mit dem Gesicht nach unten bei seinen Kollegen gelandet ist. Manchmal störe ich sie auch bei ihrem Tun. Sie versuchen mit aller Macht, den Besteckkasten von innen geschlossen zu halten, und ich muss viel Geschick und Fingergefühl aufbringen, um sie von einander zu lösen.
Neulich zog ich zwei hoffnungslos in einander verkeilte Gabeln aus dem Schubfach. Seitdem frage ich mich, ob sie homosexuell sind

.
Oft finden sich ganz und gar exotische Gäste im Schubfach ein. Löffel mit dumm ausschauenden Essmulden, Messer mit fremden Griffen und Gabeln mit krummen Zinken. Vermutlich strolchen sie von Schubfach zu Schubfach, vergnügen sich hier und dort, bis sie schließlich in meiner Küche landen. Haltlose Gesellen, die von selbst wieder verschwinden, wenn es ihnen zu langweilig geworden ist. Besteck für eine Nacht.

(2001)

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