Eva Herman (Auszug)

fliegeDas Brathähnchen schaute skeptisch aus der Röhre. Doch das störte Regina und Stefan nicht. Schließlich war Weihnachten. Sie schlossen die Backofen-Klappe und setzten sich ins Wohnzimmer auf die blaue Couch.

Das junge Paar freute sich, allein zu sein. Es hatte die gesamte Sippschaft ausgeladen und sich selbst bei niemandem angemeldet. Sie wollten ein ganz friedliches Fest.

In der Stereoanlage wachte das traute hoch heilige Paar, an der Tanne pendelte leise Lametta und auf dem Tisch erlosch soeben die Kerze, die sie am Ersten Advent angezündet hatten. An der Wohnungstür klingelte es.

Erstaunt löste Stefan sich aus der sanften Umarmung und öffnete. Draußen stand ein Typ, der aussah wie Reinhold Messner im Anzug mit einer Frau, die Stefan entfernt an irgendeine ehemalige Tagesschau-Sprecherin erinnerte. Jedoch trug sie trotz bereits tagelang anhaltender Schneeschauer nur ein dünnes weißes Kleid. Auf ihrem Haar steckte eine orangefarbene Schleife mit schwarzen Punkten. Stefans Weihnachtsstimmung nahm erheblichen Schaden. »Hat man vor diesen Dritte-Welt-Sammlern nicht mal Heilig-Abend seine Ruhe?« dachte er.

»Guten Tag«, begann der Mann verlegen, »wir wollten wissen, ob Sie wohl etwas dagegen hätten, wenn meine Schwester und ich einmal in Ihre Wohnung schauten.«

Stefan starrte die Zwei an als wären sie der Osterhase. »Es ist Weihnachten« war alles, was er hervorbrachte.

Das wäre ihnen schon klar, erklärte der Reinhold-Messner-Mann. Wenn Stefan sie nur hineinließe, würde er sicher verstehen.

Regina erschien an der Tür. Auf dem Weg vom Wohnzimmer war auch ihr die Friedensfestlaune abhanden gekommen. Stefan erklärte: »Sie wollen sich unsere Wohnung anschauen.« Regina fiel ebenfalls nichts Besseres ein als: »Es ist Weihnachten.«

»Ja«, sagte Stefan. »Aber sie können es erklären.«

Auf dem Weg ins Wohnzimmer deutete die Tagesschau-Frau auf einen blauen Vorhang im Flur und nickte dem Mann zu. Er lächelte. Regina, die hinter dem seltsamen Paar herging, erschien es, die Haarschleife der Frau mache einen leichten Hüpfer, als freue sie sich über etwas.

(2002)

Den kompletten Text kann man in meinem Buch „Am Donnerstag hat Gott Geburtstag“ lesen.

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