Onkel Vladislav (Auszug)

kuhJeden Morgen kläffte der struppige weiße Köter der schönen Frau Schmikale den Herrn Doktor Andrej Lisitschenkow an. Jeden Morgen verhedderte sich der Herr Doktor in der Leine, weil er nur Augen für die Nachbarin hatte, und ging unter ihren schüchternen Vorwürfen und des Köters Verwünschungen in seine Praxis. Bedauerlich. Soweit er wusste, war die schöne Frau Schmikale unglaublich alleinstehend.

Wohl wäre es noch lange so weitergegangen, wenn nicht an einem sonnigen Nachmittag in der Praxis des Doktor Lisitschenkow eine Kahlköpfige aufgetaucht wäre, die ihn unvermittelt mit einer Axt bedrohte.

Doktor Lisitschenkow hatte nichts gegen Kahlköpfe. Sein Onkel hatte angeblich eine ausgeprägte Glatze gehabt, aber er konnte sich kaum erinnern. Seit alle Verwandten in den vergangenen siebzehn Monaten auf unterschiedlichste Art brutal verunglückt waren, war der Doktor sehr einsam auf der Welt.

Der Arzt hatte soeben einen hypochondrischen Herrn verabschiedet, als die Frau mit der Axt ungebeten die Tür eingetreten hatte.

Abgesehen davon war sie nahezu hübsch. Nur war eben nirgends auch nur die Spur eines Haares zu entdecken. Sie besaß keinerlei Augenbrauen und war völlig wimpernlos.

Wie beiläufig erhob sie die Axt stumm drohend. Ihre Absicht war ebenso klar wie unerklärlich. Doktor Lisitschenkow schnellte vom Stuhl und wich zurück. Ruhig, fast routiniert, ging die Frau um den Tisch herum.

Der Arzt stand mit dem Rücken zum Medizinregal. Die Frau hatte keine Eile. Es wirkte, als wolle sie nur ein Stück Holz hacken. Aber dieses Stück Holz schlich zur Tür. Die Frau schnitt ihm den Weg ab. Lauernd ging der Doktor zurück, stets das vollgestopfte Regal hinter sich. Die Frau folgte. Das Leben des Arztes schien ihm nicht mehr wert als ein Splitter. Fast sah es aus, als lächle die Glatzköpfige. Aber zu mächtig war die Axt und zu mächtig des Doktors Versuchung, endlich das verdammte Regal mit einer schnellen Bewegung auf sie zu stürzen, zur Seite zu springen und mit einem gewagten Satz ins Wartezimmer zu fliehen.

Dort saßen auf sieben Stühlen drei weitere Frauen und vier Männer – alle glatzköpfig.

Aus der Tür kam die Frau. Sie sah ramponiert aus, eine Spritze steckte im linken Arm. Diesmal war sie schlauer. Sie schleuderte die Axt zum Doktor, der sich zu Boden warf. Als hätten sie darauf gewartet, stürmten die sieben Glatzköpfe auf ihn los. Der Doktor rappelte sich auf, einer erwischte ihn am Bein. Mit einem kräftigen Tritt befreite er sich und stürzte hinaus auf die Straße.

Hastig bog er um die Ecke in einen belebten Einkaufsboulevard und prallte mit einer Kuh zusammen. „Dass die Leute nicht anständig gucken können, wenn sie auf der Flucht sind“, maulte die Kuh. Der Doktor war zu keiner Antwort fähig. Was hätte er einer Kuh mitten im Heer gleichgültiger Einkaufsbummler antworten sollen? Die Kuh schüttelte träge den Kopf: „Denkst du, ich bin blöde? Ich kann hellsehen. Mach dir keine Sorgen, die Glatzköpfe warten auf dich in der Praxis. Zombies können so doof sein.“

(2009)

Den kompletten Text kann man in meinem Buch „Am Donnerstag hat Gott Geburtstag“ lesen.

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