Gottes Handtuch (Auszug)

sonnenblumeDie Sonne war in den Süden geflogen. Sie hatte ein paar Wol­ken vor den irdischen Himmel geschoben und die Ersatzlampe eingeschaltet.

Seit einigen Millionen Jahren fuhr sie mit Mark immer in ihr Lieblings-Urlaubsparadies, den Pferdekopfnebel. Den Mond­zwilling hatte sie einst geheiratet, nachdem sie sich lange nicht zwischen ihm und seinem Bruder Markus entscheiden konnte. Sie bezogen auch in diesem Jahr ihr bevorzugtes Zimmer, das Harry, der zauselige Kometen-Freund aus alten Tagen, in sei­ner Funktion als Portier für sie reserviert hatte. Für die Sonne stand eigens eine Kommode bereit, in die sie ihre Spiegel, die Haarfestiger verschiedenster Stärke und ihre 29-teilige Nagel­lack-Kollektion einsortieren konnte. Mark fand den gewünsch­ten Interstellarnet-Anschluss im Zimmer vor, den er sofort mit seinen fünf Laptops vernetzte.

Am zweiten Morgen waren sie auf dem Weg zum Pool, als das Handy der Sonne klingelte. Genauer gesagt klingelte es nicht. Es spielte Beethovens Streichquartett Opus 127 in Dolby Sur­round. Die Sonne nahm ab.

»Hallo, Herr Prof. Dr. Dr. Dr. Feuer! Wo treibst du dich denn herum?«

»Du hast zwei Doktor- und einen Professorentitel vergessen. Tut nichts. – Ich bin hier und da. Mich hält’s doch nirgends lange. Lass mich gleich zur Sache kommen: Wir haben ein Pro­blem mit Gott.« Das Feuer machte eine kurze Pause und sprach vorsichtig: »Ich wollte wissen, wann du ihn das letzte Mal besucht hast?«

Die Sonne überlegte. »Vor knapp zweitausend Jahren, schätze ich. Wieso?«

»Du bist scheinbar die letzte, die ihm begegnet ist. Niemand weiß, wo er steckt.«

Mark schaffte zwei Liegestühle heran. Während sie sich die Beine mit Öl einrieb, sagte die Sonne: »Darüber machst du dir Sorgen? Er ist doch öfter verschwunden. So wie du, gestern da, morgen dort.«

»Vielleicht hast du es nicht bemerkt, weil du immer die glei­che Runde drehst: Es läuft eine Menge schief im Universum. Ein paar Sterne sind aus der Bahn gesprungen. Planeten lösen sich mir nichts dir nichts auf. Plötzlich entsteht intelligentes Leben und keiner weiß wieso…«

»Diese Kleinigkeiten kriegt das All doch alleine geregelt. Ich muss auch ab und zu mit dreizehn Lippenstiften auskommen«, versuchte die Sonne den Freund zu beruhigen. Harry schlen­derte mit einem Tablett voller Caipirinhas vorüber. Unmittel­bar neben ihren Liegestühlen rutschte er aus und segelte mit­samt Getränken zu Boden. Das Klirren drang durchs Telefon bis zum Feuer. Als die Sonne dem Freund erklärte, was passiert war, sagte er: »Es sind zu viele Kleinigkeiten, die sich zu einer Rie­sen-Katastrophe summieren. Das All hat Tag und Nacht damit zu tun, seine Welt zusammen zu halten und könnte ein wenig Beistand von Gott gut gebrauchen. Aber der geht nicht ans Handy. Wir brauchen ihn, sonst bricht hier bald alles zusam­men.«

Die Sonne war mit den Beinen fertig und ließ sich von Mark den Rücken eincremen. In der Fremde tut man häufiger Dinge, die einem zu Hause nie einfallen würden. Mit dem Gedanken des Feuers konnte sie sich überhaupt nicht anfreunden.

»Du willst Gott suchen? Weißt du, wie viele sichtbare und unsichtbare Universen es gibt? Eines Tages taucht er ganz allein wieder auf.«

Sie ließ den Blick über die Pool-Landschaft schweifen. War da nicht eben Herr Teufel im Dunkel der Hotellobby verschwun­den? Wann hatte sie den das letzte Mal getroffen? Richtig – eine Woche bevor sie Gott zum millionsten Geburtstag die Erde schenkte. Was wollte Teufel hier?

Das Feuer machte einen Vorschlag: »Ich komme morgen früh zu euch. Das Weltall bringe ich mit, dann besprechen wir alles am Pool?«

Unter diesen Bedingungen war die Sonne einverstanden. Sie legte auf und schubste Mark voll Übermut in das reservierte Schwimmbecken, ehe sie selbst hinterher sprang und auf sei­nem Rücken landete.

Als die beiden aus dem Wasser stiegen, fanden sie auf dem Liegestuhl einen blauen Umschlag. Die Sonne nahm ein dun­kelrotes Blatt heraus, auf dem in gestochen scharfer Schrift stand:

»Gott ist tot. Fragt Friedrich.«

(2003)

Den kompletten Text kann man in meinem Buch „Am Donnerstag hat Gott Geburtstag“ lesen.

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