Rosa Plüschpuschen

Diese Kolumne im SMS-Format: Großen Fehler gemacht. Karriere im Eimer. Lesung in Restauration besucht. Virtuellen Papst gesehen. Stundenlang Buschwindröschen gesammelt. »Kraftwerk goes Samba.« Nehmt Herz in Hände. Leovinus.

Boomtown 21/2000

Vom 13. November 2000

Rosa Plüschpuschen

Ich weiß, dies ist ein Fehler, den ich mein Leben lang bereuen werde. Er wird meine zarte und verletzliche literarische Karriere aussehen lassen, wie Bambi nach einem Tete-á-tete mit Godzilla. Aber meine Mission heißt Wahrheit, und Wahrheit ist stärker als eine glanzvolle Karriere voller Auszeichnungen und der Ehre als erster Schriftsteller der Welt zweimal den Nobelpreis zu bekommen. Und den Pulitzer-Preis. Und den Allegra-Literatur-Preis 2001. Die folgenden Zeilen künden von einer Lesung.

Nicht von irgend einer Lesung, sondern von der Veranstaltung des hochwohllöblichen „Berliner Zimmers“, welche die Betreiber des „Zimmers“ in die Welt setzten auf Grund der Tatsache, dass sie beim „arte-them@-Literatur-Wettbewerb“ den Innovationspreis erhielten. Ursache dieser Kolumne ist also nichts weiter als Neid, richtig. Das „Berliner Zimmer“ erlangte die Auszeichnung für das Online-Tagebuch „tage-bau“, an dem 50 Leute aus  – Achtung, Zitat: „5 Ländern, UNTER ANDEREM Deutschland, Österreich, Schweiz, England und Laos“ (Hervorhebung von mir) mitwirkten. Lesen und Rechnen waren in der Schule nicht ohne Grund getrennte Fächer.

Die Homepage bekam also diesen Preis und wollte die 1500 Euro so richtig schön verprassen. Die Lesung mit anschließender Party sollte in der „Restauration Walden“ in Prenzlauer Berg steigen. In der „Restauration Walden“  – was für ein hübsch spießiger Name. Er klingt so nach Wandersmann, der eben seinen Durst an einem klaren Bergbache gestillt hat, den es nun aber nach einer kräftigen Brotzeit in einer Herberge im Tal gelüstet – dort jedenfalls braucht man zum Beispiel auf dem Klo keine Zeitung. Die Wände sind vollgeklebt mit Kopien aus Büchern von Herrn Walden, über den ich leider nicht mehr berichten kann, da sich mein reichlich veraltetes Schriftstellerlexikon völlig über ihn ausschweigt. Und ich habe keine Ahnung von Literatur, wie sich im weiteren Verlauf dieses Textes noch herausstellen wird. In der Mitte des Raumes – also nicht des WCs, sondern des Ortes der Veranstaltung – befindet sich eine Holzsäule, an welche unter anderem plüschige rosafarbene Hauspantoffeln genagelt wurden. Ich weiß nicht, ob dieser Pfahl heilig ist, weil dies vielleicht die Puschen von Jesus Christus sind.

Das Autoren-Podest befand sich in einer Ecke des Saales, in einer weiteren eine kleine Anlage, über welche sogar relativ pünktlich scheußliche Musik erklang. Man nehme ein beliebiges Lied der 70er oder 80er, wahlweise auch „Riders on the Storm“, und spiele es auf einer möglichst billigen Heimorgel nach. Dies war der Soundtrack zur Lesung, mit dem die Zuhörer zwischen den einzelnen Vorlesern malträtiert wurden. Glücklicherweise bestand die erste Hälfte der Veranstaltung vornehmlich aus Texten jenes „Tage-Bau“-Projektes, welche die Verfasser selbst vorlasen. Zu deren Ehre muss ich gestehen, dass mir ein Gutteil der Texte sogar gefallen hat. Teilweise auch nicht, weil mich wenig interessiert, wie jemand ins Internet geht und nicht reinkommt. Besonders hübsch war ein fiktiver Chat, in dem sich jemand als „Papst Wojtyla“ ausgibt. Allerdings stellt sich die Frage, auf welcher Realitäts-Ebene man sich bei einem fiktiven Chat befindet.

Ein kurzer Exkurs: Es gibt ja die sogenannte „reale Welt“ – falls jemand fragt, was das sein soll, möge er einfach mal für einen kurzen Moment versuchen, an seinem Monitor vorbeizuschauen. Ja, der Monitor, das ist das Ding, das du morgens als erstes siehst, wenn du die Augen aufschlägst. Mittels des Monitors jedenfalls wird die „virtuelle Welt“ sichtbar. Auch ganz okay, aber auf die Dauer sind virtuelle Schnitzel etwas zu kalorienarm und virtuelle Liebe zu wenig Rezeptoren anregend. Wenn man nun eine „virtuelle virtuelle Welt“ erschafft – ist man dann wieder in der Realität? Klares Nein. Hat man die endgültige Weisheit gefunden und kann als leuchtender Lichtstrahl gen Himmel der jeweils gültigen Religion fahren? Auch nicht. Mir ist das eine Dimension zuviel. Lasst mich zurückschweifen.

Der Text über den Papst war jedenfalls köstlich, und dem fremden Mädel neben mir hat er auch gefallen. Zum Abschluss las ein trocken aussehendes Pärchen, das sich im „Netz kennengelernt hat“ – wie rührend! – seine sehr lyriklastigen Passagen vor. Und sie lasen wunderbar. Von der Kolibrifrau. Sie lasen teilweise auf französisch. Und auf italienisch. Von Buschwindröschen und Anemonen. Am Anfang war es noch schön. Das Mädchen neben mir hörte konzentriert zu und schloss die Augen. Die beiden lasen weiter. Das Mädel öffnete die Augen und starrte Jesu Latschen an. Und noch ein Tag aus dem Tage-Bau. Das Mädel legte den Kopf in den Nacken und besah sich die Decke. Wieder wechselten die Stimmen einander ab. Das Mädchen verdrehte die Augen. Ein weiteres Abenteuer der Kolibrifrau. Die ersten Leute gingen und das Mädel grinste. Ich grinste zurück. Nach zirka einem Jahrhundert Buschwindröschen, Kolibrifrau, auftürmenden und einstürzenden Felswänden endlich die Erlösung. Es erscholl noch einmal die gegen das Genfer Abkommen verstoßende Musik und die Lesung war beendet. Das Mädchen ging zu ihren Freundinnen.

Ich wartete eine Weile, ob die angekündigte Party tatsächlich in die Gänge kam. Es erwies sich, dass Musik von der Kassette, die aus Latino-Versionen von „Kraftwerk“-Hits besteht, nicht unbedingt der Party-Einsteiger ist. So trank ich mein Bier aus, ging nach Hause und träumte von doppelt virtuellen Päpsten in rosa Hauslatschen, die Buschwindröschen für ihre Kolibrifrau pflücken.

Und wenn ihr jemanden gern habt, nehmt euer Herz in beide Hände und macht was draus.

Eine schöne Woche wünscht Leovinus.

PS: Buchtipp der Woche: „101 Gründe ohne Frauen zu leben“ von J.O.Haas aus der Serie Pieper für DM 14,90. Steht witzigerweise in der „Ratgeber“-Ecke der Buchhandlung. Ein ausnahmslos witziges Buch, das ich gern selbst geschrieben hätte.

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